Hollenbach große Orgel Köritz und Kreuzkirche Neustadt
Aufnahme 13. 05. 1994 – Sendung 24. 01. 1996 Deutschland Radio
Der Berliner Stadtschullehrer Theodor Mann schreibt im Januar 1896 in der weitverbreiteten Zeitschrift für Orgelbau und Orgelspiel mit Namen Urania folgendes:
„Wenn ich bei Benutzung meiner früheren Kunsttagsferien das Gute meist in der Ferne gesucht hatte, so nahm ich mir für dieses Jahr das Entgegengesetzte vor. Ich wollte das Gute einmal in der Nähe suchen und fand es auch schon in den Pfingstferien, wo ich auf die Suche ausging.“
So begannen unbeschwerte Ferientage auf den Spuren vaterländischer Geschichte und Orgelbaukunst, die dem Berliner Lehrer beide sehr am Herzen lagen.
Bis hinüber nach Köritz bei Neustadt an der Dosse ist unser wandernder Orgelfreund damals nicht gekommen. Er hätte den Weg auch vergebens gemacht. Denn die klangvolle Orgel ... ist erst 6 Jahre später gebaut worden. Sie ist ein Werk des Neuruppiner Orgelbauers Albert Hollenbach, von dem Theodor Mann in den Sommerferien so manches schöne Instrument kennen und schätzen gelernt hatte.
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„Das Land Ruppin, gehört zu den märkischen Gegenden mit besonders starker Tradition. Die von Zieten, Quast, Quesebeck hatten hier ihre Sitze. Karl Friedrich Schinkel und auch Theodor Fontage entstammten dieser alten Grafschaft, die 1523 durch Erbfolge zu Brandenburg gekommen war. Den Süden bis ans Rhinluch reichend wurde sie im Westen von der Dosse begrenzt. Deren Ufer, so Fontane, trotz vorherrschender Öde manchen schönen Punkt aufweist. In der Südwestecke liegt das alte Kirchdorf Köritz. Im Mittelalter hatten die Köritzer Bauern ihre Abgaben, denen Monecken zu Havelberg zu entrichten. 1687 lag das etwa 60 Hufen umfassende Dorf noch immer wüst. Um 1800 zählte es aber wieder 641 Einwohner, darunter 33 Ganzbauern, etwa ebensoviel wie bei Ausbruch des 30jährigen Krieges. 1864 an die Berlin-Hamburger Eisenbahn angeschlossen, wuchs Köritz in den Gründerjahren so stark, dass die barocke Dorfkirche nicht mehr ausreichte.
Die in den Jahren 1741 und 42 aus Backstein erbaute Kirche wurde 1901 durch Hinzufügung eines Querschiffs mit Apsis sowie durch zwei kleinere Anbauten in den Winkeln seitwärts am Schiffs stark erweitert. Die innere Einrichtung der Kirche rührt von 1901 her. Krönender Abschluss dieser Baumaßnahme war eine stattliche Orgel, die ihren Platz auf der Empore des neuen Querschiffs fand. Mit 19 Registern auf 2 Manualen und Pedal überragt sie die Orgeln der umliegenden Dörfer an Größe und Klangvielfalt bei weitem. Leider sind keine Aktenstücke mehr vorhanden, die näheren Aufschluss über ihre Erbauung geben können. So erfahren wir auch nicht, weshalb gerade Köritz zu einem so prachtvollen Instrument kam, das noch mit altmeisterlichen Schleifladen und einer rein mechanischen Traktur ausgestattet ist. In der Hochblüte der Röhrenpneumatik musste das als völliger Anachronismus gelten. Und die Köritzer Orgel ist wahrscheinlich das einzige Werk seiner Größe, das nach der Jahrhundertwende in der Mark Brandenburg, ja vielleicht in ganz Deutschland noch auf diese alt überlieferte Weise gebaut wurde. Sie ist ein Meisterwerk in technischer wie in klanglicher Hinsicht. Den Namen des Erbauers nennt ein Firmenschild am Spieltisch, Albert Hollenbach, Orgelbauer zu Neuruppin.
Wir erfahren weiter aus Theodor Manns Reisemappe von 1895. „ In Neuruppin besuchte ich den Orgelbauer Hollenbach, der am Park ein hübsches Haus mit Werkstätte besitzt. Hollenbach baute Orgeln mit Schleifladen mit mechanischer Traktur, wie er es bei seinem großen Lehrmeister gelernt hatte. Und allen Zeitmoden zum Trotz ließ er sich zeitlebens nie von der Überzeugung abbringen, das dieses alt bewährte, in Jahrhunderten ausgereifte System an Tonqualität, Dauerhaftigkeit, Funktionssicherheit und Einfachheit jedem neueren überlegen sei.
„Der sehr freundliche Meister führte mich in seiner Werkstätte umher und erzählte dabei, das er in der Nähe von Ruppin als Sohn eines Müllers geboren sein.“ Und zwar am 11. Februar 1850. „Er hatte die Orgelbauerei 6 Jahre lang bei dem alten Orgelbauer Lüdtkemüller in Wittstock gelernt, ist dann längere Zeit zu Ladegast nach Weißenfels gegangen und hat danach größere Werkstellen in Süddeutschland, auch Walcker in Ludwigsburg kennen gelernt. Dann ist er zu Ladegast zurückgegangen, hat sich aus Weißenfels seine Frau geholt und hat sich in Neuruppin etabliert.“
Das war 1877. „Er hat ein sehr gutes Geschäft gemacht und an die 20 Orgeln nach Norwegen und Schweden geliefert. Die großen Firmen hatten sich längst auf arbeitsteilige, fabrikmäßige Fertigungsmethoden mit Maschinenhilfe und Dampfkraft umgestellt. Mit dem dadurch entstandenen Kostendruck konnte ein Meister wie Hollenbach nicht konkurrieren. Der Orgelbau nach wie vor als Handwerk und Kunst betrieb. So hat seine Neuruppiner Werkstatt auch nie einen Auftrag aus dem naheliegenden Berlin bekommen. Große technische aufwendige Instrumente sind Hollenbachs Sache nie gewesen. Darauf war er gar nicht eingerichtet. Seine Stärke waren kleinere Instrumente, die er sehr gediegen baute und sehr feinfühlig zu intonieren verstand. So war er einer der letzten Landorgelbauer im klassischen Sinn. Auch in die Niederlande hat Hollenbach etliche Orgeln geliefert. Sein hauptsächlicher Wirkungsbereich war aber das Land Ruppin und die umliegenden Gegenden, die er mit trefflichen und wohlklingenden Werken versorgte, die meist noch heute tadellos funktionieren, ohne das je größere Reparaturen erforderlich gewesen wären. Die Köritzer Orgel gehört zu den wenigen größeren Instrumenten, die je aus Hollenbachs Werkstatt hervorgegangen sind. Auch sie ist bis heute nie verändert worden.
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Die Köritzer Hollenbachorgel besitzt 19 klingende Stimmen, auf 2 Manualen und Pedalen. 10 davon stehen im Hauptwerk.
So sind der Musik der romantischen Epoche mannigfaltige Möglichkeiten geboten. ...
Die Köritzer Orgel, in ihrer ursprünglichen Gestalt unverändert erhalten, bis auf den heutigen Tag ist nicht nur eines der größten, sondern auch eines der letzten Werke von Albert Hollenbach. 1903 musste die Zeitschrift für Instrumentenbau unter der Rubrik Zahlungseinstellungen berichten „Über das Vermögen des Orgelbauers Albert Hollenbach in Neuruppin ist am 24. Nov. 1903 das Konkursverfahren eröffnet worden.“ Albert Hollenbach hat den Zusammenbruch seines Lebenswerks nicht verwunden. Am 24. Jan. 1904 starb er, erst 54 Jahre alt. Mit ihm sank die gute alte Zeit märkischer Orgelbaukunst ins Grab. Bedeutende Traditionen des Kunsthandwerks die in direkter Folge von Lehrer und Schüler doch in den Generationen mannigfach verwandelt, bis auf den genialen Joachim Wagner zurück reichten, waren dem Fortschritt der Industrialisierung zum Opfer gefallen.