Die Selbsthilfe bleibt im Fokus
Guttempler - Gemeinschaft "Fuchsbau" Wusterhausen hatte die ostdeutschen Verbände zum Seminarwochenende nach Erkner eingeladen
Von Wolfgang Hörmann
Erkner. Man kann schon von einer "großen Reise" sprechen, zu der Beate Schmidt, ihr Mann Reinhard und weitere vier Mitfahrer am letzten August-Wochenende aufgebrochen waren. Das Sextett im Kleinbus brauchte knapp sechs Stunden, um vom thüringischen Hildburghausen nach Erkner zu kommen. Das dortige Bildungszentrum war an jenem Freitag auch Ziel von Fahrgemeinschaften aus Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg und Bayern. Leider konnte aus Sachsen-Anhalt diesmal kein Teilnehmer zu den längst traditionellen Seminartagen der ostdeutschen Guttempler anreisen. Der Ausrichter, die Gemeinschaft "Fuchsbau Wusterhausen", hatte auf seinen Heimvorteil im Brandenburgischen Wusterhausen verzichtet. So fanden sich letztlich alle im Bildungszentrum Erkner unweit der A 10 ein und waren bestens aufgehoben. Die Gäste suchten hier Antworten auf die Frage "Suchtselbsthilfe Quo vadis?"
Der erste Aufschlag galt aber erst einmal der passenden Literatur. Wolfgang Hörmann, Mitglied der Hans-Fallada-Gesellschaft mit Sitz im mecklenburgischen Carwitz, las gut eine Stunde aus Falladas Roman "Der Trinker". Der Journalist bekam dabei die volle Aufmerksamkeit der gut 40 Frauen und Männer. Fallada, zeitlebens abhängig von Alkohol und Pharmaka, schrieb sein Werk 1944 in einer Nervenheilanstalt. Nach wie vor hat der Autor nichts von seinem Bekanntheitsgrad eingebüßt. Das zeigte sich am Begrüßungsabend auch in der Lesung und den Gesprächen danach.
Das Guttemplerhaus in der Wildenbruchstraße 80, Sitz des Landesverbandes Berlin-Brandenburg e.V. war tags darauf der Gastgeber. Im Mittelpunkt standen hier Diskussionen über die aktuellen Anforderungen an die Suchtbekämpfung. Prof. Christian Killiches sprach in einem umfassenden Vortrag über die Suchtselbsthilfe in der heutigen Zeit. Er betonte dabei unter anderem die immer stärker wirkenden gesellschaftliche Herausforderungen und Besonderheiten in den einzelnen Lebensabschnitten der Menschen. Der Einbeziehung von Nichtsüchtigen und Angehörigen wies Killiches eine wichtige Rolle zu. Der Redner stellte unter anderem auch die Frage in den Raum, ob Suchtkranke tatsächlich einhundertprozentig abstinent leben müssten, was in folgenden Wortmeldungen ebenfalls thematisiert und erwartungsgemäß unterschiedlich bewertet wurde. Klarer Standpunkt blieb indes: Immer müsse auch Suchtkranken die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Und: "Suchterfahrene sollten ihre Erkenntnisse teilen," so der Mann am Pult. Stets müsse es darum gehen, ein Gefühl der Heimat und für eine lebenswerte Perspektive zu vermitteln. Prof. Killiches brachte neue Methoden im Umgang mit den Süchten ins Gespräch. Er redete auch dem neuesten technischen Fortschritt das Wort. Die Vorzüge der Digitalisierung gelte es zu erkennen und noch stärker zu nutzen. Dazu gehörten auch digitale Selbsthilfegruppen. Schnell wurde in der Aussprache deutlich, dass Theorie und Praxis hier insbesondere bei den betagten Betroffenen vielfach noch weit auseinander liegen. Fehlende Kenntnisse und technische Voraussetzungen, zum Beispiel auf dem "flachen Land", sind auch bei bestem gutem Willen nicht so leicht wettzumachen.
Wie komplex die Probleme in der Suchthilfe sind, zeigte sich beim Treffen in Neukölln auch im Redebeitrag von Lilli Böwe. Die Suchthilfekoordinatorin im Berliner Bezirksamt Neukölln, lieferte dafür Beispiele aus Sicht der Großstadtmetropole. Ihre Feststellung "die Weltreise beginnt in Neukölln" wurde vom Auditorium als Synonym für mannigfaltige Aufgaben durch den verstärkten Zulauf von Menschen aus anderen Ländern schnell erkannt. Der Anteil von Geflüchteten aus Problemregionen dieser Welt, stelle dabei eine besonders Herausforderung dar, ebenso wie die wachsende Einsamkeit der Menschen in Deutschland. hieß es. "Schon jetzt hat rund ein Drittel der Menschen die in die Neuköllner Beratungsstelle kommen einen Migrationshintergrund und mehr als die Hälfte ist alleinlebend.", so Böwe, die sich dabei auf ihren Wirkungsbereich bezog.
„Meditation in der Suchtselbsthilfe – ein Verfahren zur Konfliktlösung und Streitbeilegung“, zu diesem Thema gab es am Sonntagvormittag einen Vortrag. Der Referent erläuterte anhand von Beispielen, für welche Konflikte das Meditationsverfahren einen guten Lösungsansatz darstellt und wo die Grenzen sind.
Das Wochenende in Erkner hat aus Sicht des Beobachters "von außen" (der schnell in die Gemeinschaft aufgenommen wurden) ein Bild der Geschlossenheit und des Willens gezeigt, sich weiter gemeinsam den Gefahren der Sucht zu stellen. Sichtbar wurden aber auch Grenzen, an die Betroffene und ehrenamtliche Helfer zunehmend stoßen. Sie kennen aber auch ihre Stärken. Die erwachsen zweifellos aus ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl und der festen Absicht, für andere Betroffene da zu sein.
Man steht miteinander auch über Ländergrenzen in Kontakt. Die Tradition der jährlich stattfinden Treffen, seit drei Jahrzehnten ein Muss samt Vorfreude auf das Wiedersehen mit Gleichgesinnten, wird 2025 fortgesetzt. Uwe Wolters, stellvertretender Landesvorsitzender der Guttempler in Mecklenburg-Vorpommern, warb in Erkner dafür. Vom 5. bis 7. September 2025 ist Parchim der Gastgeberort. Die Vorfreude reiste mit bei den Heimfahrten in alle Himmelsrichtungen.
Das Veranstaltungswochenende wurde finanziell gefördert durch: DAK-Gesundheit, vdek, Guttemplerstiftung, Windpark Kantow-Blankenberg GmbH & Co.KG, Bürgerstiftung Wusterhausen und HTK GmbH. Die Teilnehmer möchten sich recht herzlich für die Unterstützung bedanken.
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