Schreiben an den Gesundheitsminister unterzeichnet - auch die Kyritzer Bürgermeisterin Nora Görke unterstützt den Protest gegen Klinikschließungen in Neuruppin
Am Dienstagabend unterzeichneten die Kreistagsvorsitzende Sigrid Nau, Vorsitzende aller Fraktionen des Kreistages Ostprignitz-Ruppin, Aufsichtsräte der PRO Klinik Holding, Holdinggeschäftsführer Dr. Gunnar Pietzner, sowie Ostprignitz-Ruppins Landrat Ralf Reinhardt ein Schreiben an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach.
Das Schreiben enthält die Aufforderung zum sofortigen Handeln, um die bevorstehenden Schließungen der Kliniken für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und für Hals-Nasen-Ohrenerkrankungen des Universitätsklinikums Ruppin-Brandenburg (ukrb) abzuwenden. In dem Brief heißt es, dass durch die Klinikschließungen die patientengerechte gesundheitliche Versorgung des ländlichen Raumes im Nordwesten Brandenburgs auf dem Spiel steht.
Zum Hintergrund: Das Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg (ukrb) in Neuruppin, zentraler Schwerpunkt-Gesundheitsversorger und größter Arbeitgeber der Region, muss aus Kostengründen zwei Fachabteilungen schließen: die Klinik für Hals-Nasen-Ohrenerkrankungen sowie die Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. In beiden Kliniken wurden zuletzt jährlich insgesamt 862 Patienten stationär und 2670 ambulant betreut.
Durch den kompletten Wegfall dieser medizinischen Leistungen verschwindet in diesen Bereichen auch eine notwendige und ausreichende ambulante sowie stationäre ärztliche Versorgung in einem Gebiet, das doppelt so groß ist wie das Saarland. Durch die Klinikschließungen entsteht für die Menschen im gesamten Nordwesten Brandenburgs die ganz konkrete Gefahr erheblicher gesundheitlicher Risiken durch weite Entfernungen zur ärztlichen Versorgung – im Extremfall bis zum Verlust ihres Lebens. Den hier lebenden Menschen werden zukünftig für eine angemessene Gesundheitsversorgung kaum noch zu bewältigende Wegstrecken zugemutet – sogar in Notfällen.
Die Fahrzeit mit einem PKW zum nächstgelegenen Schwerpunktversorger/Maximalversorger beträgt in Berlin durchschnittlich 16 Minuten, im ländlichen Raum durchschnittlich 43 Minuten - im Nordwesten Brandenburgs zukünftig sogar regelmäßig mehr als 90 bis 120 Minuten. Dies gefährdet Menschenleben und führt zu ungleichen Lebenschancen, die abhängig vom Wohnort sind.
Trotz dieses Wissens sehen sich die Geschäftsführung und der Aufsichtsrat sowie die Gesellschafterversammlung gezwungen, für die umfassende Versorgung notwendige Kliniken zu schließen - eine Zwangsmaßnahme, um eine bereits existenzbedrohende wirtschaftliche Schieflage für das gesamte Klinikum vorerst noch abzuwenden. Es handelt sich um einen ökonomisch unumgänglichen, aber massiven und gravierenden Einschnitt für die Menschen vor Ort und ihre medizinische Versorgung. Die Entscheidung ist das Resultat der gegenwärtig nicht mehr die Betriebsfähigkeit ermöglichenden Krankenhausfinanzierung. Diese bereits seit langer Zeit beklagte Tatsache eskaliert nun akut in einem schrittweisen Kollaps eines versorgungsrelevanten Schwerpunktkrankenhauses im Nordwesten Brandenburgs.
Schon vor der SARS-CoV-2-Pandemie war die Finanzierung besonders von Schwerpunkt-/Maximalversorgern im ländlichen Raum mehr als ungenügend, da diese Kliniken in der Regel eine geringere Patientenauslastung haben als vergleichbare Kliniken in Ballungsräumen. Gleichzeitig ist es aber aus den oben genannten Gründen existenziell wichtig, diese Versorgung auch bei nicht vorhandener Auslastung im ländlichen Raum vorzuhalten. Allerdings werden Vorhaltekosten für wichtige und zum Teil lebensnotwendige stationäre Leistungen nicht vergütet. Dadurch wird der Erhalt solcher Schwerpunktversorger auf dem Land im Gegensatz zu Ballungsräumen erheblich erschwert. Die Steigerung der Betriebskosten wird seit Jahren unterproportional nachvollzogen. Die Verhandlungen mit den Krankenkassen haben Rückstände von mehreren Jahren, es werden Kostenerstattungen verzögert und nachhaltig Liquidität vernichtet. Die durch die Krankenkassen verschleppte Bezahlung längst erbrachter Leistungen gefährdet auf Dauer die Zahlungsfähigkeit der Universitätsklinik. Mittlerweile beläuft sich der Rückstand auf 20 Millionen Euro Forderung noch nicht abgerechneter Leistungen. Spätestens seit Beginn der Energiekrise ist der Finanzierungsausfall nicht mehr zu kompensieren und bedroht insbesondere Krankenhäuser des ländlichen Raumes in dünn besiedelten strukturschwachen Gebieten.
Die geforderte Ambulantisierung führt zu weiteren unlösbaren Problemlagen. Durch das Krankenhaus zu erbringende ambulante Leistungen sind nicht kostendeckend kalkuliert und generieren mit jedem weiteren Fall automatisch ein noch größeres Defizit.
„Die Klinik wird aktuell am offenen Herzen operiert - aber es fehlt gerade nicht nur der Operateur und seine Rückkehr ist ungewiss, auch der Herz-Lungen-Maschine droht vom Energieversorger der Strom abgeschaltet zu werden“, so die Unterzeichner:innen des Briefes.
Sie fordern den Minister dazu auf, das Überleben von Schwerpunktversorgern bis zur Umsetzung einer Reform der Krankenhausfinanzierung, die insbesondere im ländlichen Raum auch die Vorhaltung von Behandlungskapazitäten honoriert, zu sichern. Nur so können Schwerpunktversorger den ihnen zugedachten wichtigen Beitrag für die stationäre, aber auch ambulante Versorgung ganzer Regionen erbringen.
Ohne geeignete Maßnahmen werden Krankenhäuser vor allem in ländlichen, dünn besiedelten und strukturschwachen Regionen sterben. Dies betrifft in erster Linie dortige kommunale Krankenhäuser, da auch die sie tragenden Gebietskörperschaften keine ausreichende Finanzkraft und damit keine Möglichkeiten zu weiteren Überbrückungshilfen haben werden.
Bis zur Umsetzung der geplanten Reform muss eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit geschaffen werden, um ungesteuerte, versorgungsschädliche Klinikschließungen zu verhindern. Die Übergangszeit darf nicht zu versorgungsgefährdenden Situationen führen. Daher wird in dem Schreiben gefordert, umgehend eine stabilisierende und existenzsichernde Finanzierung für Schwerpunktkrankenhäuser auf den Weg zu bringen. Eine vorübergehende, sich jedoch mehrmals wiederholende Kompensation der Finanzlücke durch den Gesellschafter Landkreis ist weder finanziell noch rechtlich möglich, denn es besteht keine Nachschusspflicht des Landkreises. Damit wäre dies eine freiwillige Aufgabe ohne Rechtsgrund für eine Finanzierung und es geraten einzelne Kommunen in eine finanzielle Schieflage, was unter anderem Auswirkungen auf den Unterhalt und Bau von Straßen und Wegen, auf die Schaffung von Kitaplätzen und die Unterhaltung von Schulen haben würde. Da der Kreis sich über die Kreisumlage finanziert, sind Kommunen nicht mehr ausreichend mit Finanzmitteln ausgestattet und werden über die Gebühr belastet. Es drohen dadurch Klageverfahren, die damit eine Einnahme der Mittel von den Gemeinden und Auszahlung von Geldern an die Kliniken für diesen Zweck verhindern würden. Der geforderte Transformationsfonds ist jetzt zu schaffen. Nachteile für Patientinnen und Patienten und die Schließung von Fachabteilungen in dem real drohenden Umfang können nicht hingenommen werden.
Es geht um die Rettung qualitativ hochwertiger und bedarfsgerechter Gesundheitsversorgung in den ländlichen Regionen. Dem Schreiben ist eine Karte als Anlage beigefügt, die zeigt, dass ein Wegfall des Universitätsklinikums in Neuruppin die ohnehin größte Versorgungsfläche der Bundesrepublik mit den längsten Wegen zu einem Schwerpunktversorger noch weiter vergrößern wird. Die Unterzeichner erwarten vom Bundesminister bis Mitte Januar eine Antwort auf ihr Schreiben, das über sämtliche zur Verfügung stehenden Medien publiziert werden wird, um darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht fünf vor, sondern schon zehn nach zwölf ist.
Bild zur Meldung: Foto: Pressestelle Lk OPR/ Ulrike Gawande